Schlagzeilen SZ 192

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Wo verstecken die Tops ihre Gefühle?

Seit über 30 Jahren lese ich SM-Geschichten für die Schlagzeilen und seit 25 Jahren entscheide ich, ob wir sie veröffentlichen oder eher nicht. Manchmal waren die Texte so, dass ich mir noch eine zweite oder dritte Meinung eingeholt habe und ganz früher haben wir (Anfang der 90er Jahre) in der Redaktion noch zusammen diskutiert und entschieden.

Unsere Spielregeln für Texte sind eigentlich ganz klar – man findet sie hier: https://t1p.de/ligi7 (Schreiben für die Schlagzeilen bzw. den Charon Verlag – Link gekürzt)

In den 90er-Jahren gab es deutlich mehr Texte mit überraschenden Wendungen, die Sessions waren gerne auch mal etwas fieser. Und natürlich knieten auch damals schon die Sklavinnen brav vor ihren Herren in korrekter Anbietpose und die Sklaven leckten selbstverständlich demütig die Schuhe ihrer Herrinnen sauber. Aber irgendwie hatten die Geschichten damals – so sagen es jedenfalls die Leser:innen der alten Ausgaben – mehr Biss, waren schmutziger und härter.

Heute ähneln sich die Plots öfter. Selbstverständlich lebt erotische Literatur von Klischees und das ist auch in Ordnung so. Es gibt sie immer noch, die guten, spannenden, schmutzigen Geschichten. Es ist eben einfach so, dass das Gebiet, das die Texte bedienen sollen, eben für die meisten Menschen nur das widerspiegelt, was in den Köpfen der Menschen möglich ist und da sind wir alle recht begrenzt und geprägt von dem, was wir sehen, hören, lesen und ja auch fühlen.

Was mich dabei irritiert, ist, dass meist sehr viel über das Geschehen geschrieben wird. Und wie es der Person geht, der man dieses oder jenes antut.
Was mir fehlt, wäre, dass ich mehr davon mitbekomme, was in den Köpfen der Aktiven vorgeht. Und was ihre Gefühle sind.

Ich liebe es, anderen, die das auch lieben, intensiv Schmerzen zuzufügen und manchmal liebe ich es, wenn ich auf der anderen Seite diese Intensität selbst fühle. Es geht um Spüren, mein Spüren und das Spüren meines Gegenübers. Wenn ich haue, ist das fast immer spontan, weil es sich ergibt, weil ich spüre, dass das jetzt gut wäre, für mich und für mein Gegenüber. Kann sein, dass ich mich täusche, dann war es eine Fehleinschätzung meinerseits oder ich habe das falsche Instrument gewählt. Ich brauche immer die Rückmeldung meines Gegenübers, ob es jetzt richtig ist, ob meine Schläge so genommen werden können. „Nur ausgehalten“ sollen sie nicht werden.

Ich genieße das Geräusch des Rohrstocks, freue mich an dem Nachvibrieren des Arsches, lausche auf den Atem, möchte den Gesichtsausdruck sehen, anfassen, was sich langsam aufwärmt und rötlich schimmert. Ich will die Aufregung riechen und vielleicht auch die Geilheit. Gleichzeitig konzentriere ich mich, damit meine Schläge genau dort treffen, wo ich sie haben möchte, überlege, ob ich längere Pausen machen sollte, damit mein Gegenüber mehr Zeit hat, mit dem Schmerz umzugehen. Ich merke, wie mir langsam die Geilheit die Wirbelsäule hinunterkriecht, bis sie in meinem Schwanz ankommt. Manchmal meldet er sich dann mit dem Wunsch, irgendwo reingesteckt zu werden. Und ich kann überlegen, ob ich dem Wunsch nachgebe oder doch weiter die Hau-Session genieße.

Mich kickt nicht nur die Situation, sondern auch, dass es mir erlaubt ist, diesen Arsch vor mir möglichst kunstfertig zu traktieren. Und gleichzeitig muss ich wach bleiben, dass ich nichts von meinem Alltagsstress in die Schläge reinpacke, denn da gehört er nicht hin. Zwischendurch müssen meine Hände den Körper mir gegenüber berühren, mit dem Körper spielen und neue und andere Reaktion hervorlocken, als die durch Schläge erzeugten. Das ist meine Sehnsucht nach Intensität, nach einer Nähe, die es beim Kuscheln so nicht gibt.

Natürlich kann ich sicherlich dies und das noch ergänzen, aber so sieht es bei mir aus. Das ist das, was ich vermisse. Vielleicht denke ich währenddessen: „Du geiles Stück, dir werd ich den Arsch röten und wenn mal ein Hieb herumgeschlagen ist und die Haut aufgeplatzt, wenn etwas Blut austritt, dann werde ich meinen Finger hineintunken.“ Aber vielleicht denke ich währenddessen auch fast gar nicht, weil ich mich auf die Situation konzentriere und eben auf mein Spüren und das meines Gegenübers.

Ich hoffe, ihr habt verstanden, was mir besonders bei der Beschreibung der Aktiven fehlt. Es geht eben immer um mehr, als nur um die Session.

Matthias